Donnerstag, 20. Juni 2013

ctt und "Tariftreue" - ctt Kliniken wollen Gehälter senken

Wir haben vorgestern auf den Vortrag von Wolf-Gero Reichert hingewiesen. Reichert führt darin aus:
Die strukturelle Unterfinanzierung des Pflegebereichs wirkt sich negativ vor allem für die Beschäftigten aus.

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Bei dem Pflegemarkt handelt es sich um einen politisch inszenierten und unterfinanzierten Markt. Deswegen kann der Wettbewerb Kosten und Qualität nicht versöhnen. Es stimmt: Bei ausreichender finanzieller Vergütung dürften die Einrichtungen über den Wettbewerbsparameter „Qualität“ oder „gute Pflege“ konkurrieren. Der Pflegemarkt ist jedoch unterfinanziert. Insofern konkurrieren die Einrichtungen vor allem über den „Preis“. Letztlich geht dieser Preiswettbewerb zu Lasten der Pflegequalität und auf Kosten der Beschäftigten.
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Ein aktuelles Beispiel für die Richtigkeit der These bildet die ctt.

Mit der Schlagzeile "ctt Kliniken wollen Gehälter senken" berichtete am 17.06.2013 die Saarbrücker Zeitung von der Absicht der Cusanus Trägergesellschaft Trier (ctt, früher Caritas Trägergesellschaft Trier), durch einzelvertragliche Vereinbarungen - die u.a. eine dauerhafte weitere Absenkung der ohnehin schon um 8,91% nach unten abweichenden AVR-Entgelte um weitere 2,49% vorsehen - aus dem "Dritten Weg" auszubrechen.
Begründet wird dies damit, dass die Refinanzierung nicht ausreichen würde, um die am TVöD orientierten Gehälter der AVR Caritas im Reha-Berich zu finanzieren.

Die ctt mbH ist korporatives Mitglied des Caritasverbandes für die Diözese Trier und ein "Unternehmen der Hildegard Stiftung". Zur Unternehmensgruppe gehören 5 Bildungshäuser, 5 Fachkliniken, 4 Krankenhäuser an 5 Standorten, 1 Jugendhilfeeinrichtung und 8 Altenheime. Weitere 11 Altenheime werden "in Geschäftsbesorgung" betreut. Zum Unternehmen gehörten (Stand 2009) über 3.500 Beschäftigte, die einen Jahresumsatz von über 240 Mio. Euro (2009) erwirtschafteten. Die ctt war 1999 ("Doerfert-Affäre") in finanzielle Schieflage geraten und nur durch die Kooperation mehrerer Ordensgemeinschaften, u.a. der Waldbreitbacher Franziskanerinnen (BMVA), vor der Insolvenz bewahrt worden. Diese Waldbreitbacher Franziskanerinnen (mit 350 Schwestern in Deutschland, Brasilien, den Niederlanden und in den USA) sind auch die "Gründermütter" der Marienhaus Stiftung Neuwied, die sich vor allem im Gesundheits- und Sozialbereich engagiert. Die von der Ordensgemeinschaft gegründete Marienhaus GmbH unterhält derzeit 23 Krankenhäuser, 17 Alten- und Pflegeheime, 2 Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, 8 Hospize und 7 Bildungszentren. Das Unternehmen gehört zu den größten Trägern in Deutschland und beschäftigt in Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Nordrhein-Westfalen und Hessen mehr als 11 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der zur Marienhaus Unternehmensgruppe gehörenden Reha-Klinik Schwertbad Aachen wurde jahrelang deutlich unter der AVR-Caritas liegende Gehälter gezahlt. Über die Arbeitskampfmaßnahmen in diesem Krankenhaus haben wir erst gestern wieder berichtet.

Aufsichtsratsvorsitzende der ctt ist Schwester M. Basina Kloos BMVA, zugleich Vorsitzende des Vorstandes der Marienhaus Stiftung Neuwied. Schwester Kloos ist ebenso Arbeitgebervertreterin in der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) der Caritas. Schwester Kloos hat in einem Aufsatz (neue caritas 1/2010, S. 27 ff) ihre klare unternehmerische Sichtweise dargestellt:
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Wenn die Verantwortlichen der Caritas wollen, dass die caritativen Unternehmen, die es nun einmal gibt, alle unter dem Dach der Caritas bleiben und der Dritte Weg beibehalten wird, dann haben sich natürlich die Unternehmen selbst, aber auch die Verbandorganisationen damit auseinanderzusetzen. ... Die Interessenslage von Dienstgebern
(gemeint sind Vorstände und Geschäftsführer der Unternehmen) müssen erarbeitet und klar formuliert und innerhalb des Deutschen Caritasverbands (DCV) artikuliert werden. Hier leistet die AcU (die Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen) gute und innovative Dienste.
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Wir meinen - caritatives Unternehmertum ist ein Widerspruch in sich. Caritativ heißt selbstlos, ohne Absicht der Gewinnerzielung, tätig zu sein. Das Gegenteil macht ein Unternehmen. Es versucht, Gewinne zu erwirtschaften. Anzumerken ist, dass durch § 118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz nur die Religionsgemeinschaften selbst und ihre caritativen oder erzieherischen Einrichtungen vom Geltungsbereich des Gesetzes befreit sind:
"(2) Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform"
Ein Unternehmen, das unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten tätig wird, unterliegt also dem Betriebsverfassungsgesetz.
Das sollte dann auch konsequent und ohne "Rosinenpickerei" berücksichtigt und umgesetzt werden.
= Entweder, die ctt und die Marienhaus Unternehmensgruppe zahlen in allen (!) Einrichtungen die am TVöD orientierten Löhne nach AVR Caritas,
- soweit diese vorenthalten wurden gegebenenfalls auch rückwirkend über Nachzahlungen,
= oder, die "verantwortlichen Unternehmer" akzeptieren (Konzern-)Betriebsräte und nehmen unverzüglich Gespräche mit der zuständigen DGB-Gewerkschaft, also insbesondere mit ver.di, auf.

Wenn schon die Löhne nach AVR-Tabellen nicht bezahlt werden können, dann wäre eine Beteiligung an einem allgemein verbindlichen Sozialtarifvertrag das Gebot der Stunde, um die Refinanzierungsgrundlage entsprechend zu verbessern.

Wir zitieren in dem Zusammenhang auch aus dem Deutschen Ärzteblatt (Dtsch Arztebl 2012; 109(48): A-2385 / B-1945 / C-1905):
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"Wenn Gewerkschaften keine adäquate Beteiligung erfahren und die Arbeitgeber die Vorgaben des Dritten Weges ad absurdum führen, können Streiks durchaus legitimiert sein“, .... Und was den kirchlichen Auftrag betrifft, so stellen die Richter klar, dass die Kirchen unter Beobachtung stehen: Wenn beispielsweise in einem konfessionellen Krankenhaus ökonomische Vorgaben das Christliche verdrängen, ist das kirchliche Privileg nicht mehr zeitgemäß.
...

1 Kommentar:

  1. »Die missliche finanzielle Lage ist nach eigenem Bekunden auch auf Managementfehler in
    der Vergangenheit zurückzuführen. Es ist nicht einzusehen, dass die Beschäftigten das nun ausbaden sollen.« - was für das Schwerbad gilt, gilt für die ctt doch erst recht, oder?

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