Sonntag, 20. Dezember 2015

Medienrückblick am Sonntag: Pflegemarkt, Klima, Wirtschaftsmacht

Das (wirtschaftsnahe) RWI - Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. hat in dieser Woche den Pflegeheim Rating Report 2015 (Summaryveröffentlicht und eine Zusammenfassung der Ergebnisse in einer Pressemitteilung  verbreitet. Die Medienresonanz war nicht sehr beeindruckend, und im Bereich Kirche/Caritas (z.B. kurze KNA-Notiz bei Domradio) noch etwas dünner. Eine kritische Einordnung der Nachricht über die Veröffentlichung und die zusammengefaßten Ergebnisse findet sich in bewährter Art im sozialpolitischen Blog von Prof. Stefan Sell.

Wirtschaftlich ist der gesamte deutsche Pflegemarkt  
"ein Wachstumsmarkt.
Zwischen 1997 und 2013 hat sich sein Anteil am gesamten Gesundheitsmarkt von 8,6% auf 12,7% erhöht. Insgesamt gab es im Jahr 2013 2,6 Millionen Pflegebedürftige. Ihre Zahl wird bis zum Jahr 2030 voraussichtlich um ein Drittel auf 3,5 Millionen ansteigen. Damit verbunden ist ein zusätzlicher Bedarf von voraussichtlich zwischen 131 000 und 321 000 stationären Pflegeplätzen. Die dafür erforderlichen Neu- und Re-Investitionen belaufen sich auf 58 bis 80 Milliarden Euro. Darüber hinaus ist auch mehr Personal erforderlich. Bis 2030 ist mit insgesamt 128 000 bis 245 000 zusätzlichen Stellen (Vollkräfte) in der stationären und mit 63 000 bis 124 000 in der ambulanten Pflege zu rechnen."

Weil dort Geld zu verdienen ist, nimmt der Anteil privater Anbieter weiter zu: 

  "In Pflegeheimen betrug ihr Anteil im Jahr 2013 36,4% (1999: 25,4%), bei ambulanten Diensten 49,5% (1999: 35,6%). Zudem haben Regulierungsdichte und Personalknappheit weiter zugenommen."
Problematisch ist dem Pflegereport zufolge offensichtlich der Sachverhalt, dass die Pflegenden höhere Löhne anstreben: 
"Steigen die Löhne im Pflegebereich an, wird das zunächst die wirtschaftliche Lage  der Pflegeheime verschlechtern. Der Lohndruck dürfte dann über steigende Preise für Pflegeleistungen aufgefangen werden. Die dadurch bedingte höhere Belastung der Pflegebedürftigen und der Sozialhilfeträger wird allerdings Gegenreaktionen auslösen. Heime, die dem Kostendruck durch effizientere Abläufe entgegenwirken können, werden sich Wettbewerbsvorteile verschaffen. Zudem lässt sich die betriebliche Effizienz über horizontale und vertikale Integration weiter erhöhen. Hinzu kommt, dass der Pflegemarkt in Deutschland nach wie vor sehr kleinteilig ist. Die Bildung großer Verbünde zur Nutzung gemeinsamer Ressourcen ist daher noch in großem Maße möglich."
Hinsichtlich der tarifpolitischen Bewältigung der Situation landet man bei Überlegungen, die uns vertraut vorkommen, wenn wir uns  Dienstgeberpositionen bei der Caritas vergegenwärtigen:
"Ziel sollte es sein, die Verweildauer im Pflegeberuf zu verlängern, die Vollzeitquote auszuweiten und neue Auszubildende zu gewinnen. Dazu werden die Löhne für qualifiziertes Personal gegenüber Hilfskräften steigen müssen."
 ...die bekannte Spreizung der Vergütungen, bei denen die Fachkräfte erhalten, was der Markt verlangt und die Hilfskräft das, was der Markt erlaubt. Die Kosten lassen sich dann mit der Gestaltung der Fachkraftquote steuern, wenn man es mal so kybernetisch formulieren will.
(alle - kursiv gesetzten - Zitate aus der RWI-Pressemitteilung vom 15.12.2015)

Eine Strategie, die in diesem Bereich noch für anständige und gerechte Vergütungen  sorgen will, wird ohne eine Kräftigung der Gewerkschaften in diesem Bereich nicht auskommen. Notwendig ist hierzu, dass sich die Beschäftigten organisieren und damit Verantwortung für die Gestaltung und Durchsetzung ihrer Arbeitsbedingungen und -vergütungen übernehmen. Wenig hilfreich ist für die entsprechende Strategie der 3. Weg der Kirchen, der suggeriert, gute Tarife seien auch ohne gewerkschaftliche Stärkung der Beschäftigten und Tarifverträge möglich.
Erst wenn es keine Tarifverträge mehr gibt, die man übernehmen kann, werdet ihr merken ...



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Klimagipfel

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Der Mainzer Sozialethiker Prof. Gerhard Kruip, (mit den Forschungsschwerpunkten Gerechtigkeitsfragen in Zeiten der Globalisierung, Armutsbekämpfung, Theologie der Befreiung in Lateinamerika.) hat sich in einem hörenswerten Interview im Deutschlandfunk mit dem Engagement des Papstes und der Kirchen in Fragen des Weltklimas befaßt (podcastlink):

KlimaWarum sich Kirchen beim Klimagipfel in Paris einmischen
Anstrengungen und verbindliche Zusagen erwarten die Kirchen von der Weltklimakonferenz. Vor allem Papst Franziskus hat sich mit seiner Umweltenzyklika "Laudato Si" positioniert. Warum engagieren sich die Kirchen? Was legitimiert sie? Fragen an Professor Gerhard Kruip, Sozialethiker an der Universität Mainz.
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Kirchen nur Wirtschaftsbetriebe

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 Eher kritisch befasst sich Carsten Frerk in einem Deutschlandfunk-Interview mit der Rolle der Kirchen als Akteure in Wirtschaft und Politik. Man muss seine Thesen sicherlich schon gar nicht vollständig teilen, um nicht gewisse Risiken zu sehen, die mit dieser wirtschaftlichen und politischen Macht für die Identität der Kirchen gegeben sind. Den kritischen Blick auf die Problematik,die mit der wirtschaftlichen und politischen Macht der Kirchen für diese verbunden sind, kennzeichnet bekanntlich auch Papst Franziskus...

Kirchen in Deutschland"Wirtschaftsbetriebe mit religiösem Etikett"
Die christlichen Kirchen in Deutschland erzielen mehr Umsatz als die Automobilindustrie. Ihre Vertreter sitzen in Rundfunkräten und als Gottesfraktion im Bundestag. Und ihr Einfluss auf die öffentliche Meinung ist enorm. Diese Thesen vertritt der Politologe Carsten Frerk in seinem Buch "Kirchenrepublik Deutschland". Im DLF sagte er, Kirchen seien nichts anderes als Lobbyisten.


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