Montag, 23. Januar 2017

Ab morgen vor dem Bundesverfassungsgericht: "Tarifeinheitsgesetz"

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am 24. und 25. Januar über das umstrittene Tarifeinheitsgesetz. Das im Juli 2015 in Kraft getretene Gesetz bedeutete die Rückkehr zum Prinzip "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag". Das Gesetz zur Tarifeinheit fügt eine neue Kollisionsregel in das Tarifvertragsrecht ein. Sie greift, wenn sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften in einem Betrieb überschneiden. Nach dem Gesetz soll nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft im Betrieb Anwendung finden, die in diesem Betrieb die meisten Mitglieder hat. Nach dem Tarifeinheitsgesetz gilt nun im Kollisionsfall das Mehrheitsprinzip betriebsweit, nicht für das Unternehmen als Ganzes. Bei Kollisionen sollen die Arbeitsgerichte entscheiden.
Das bedeute - so betroffene Gewerkschaften - ggf. eine verfassungswidrige Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit. Kollisionen zwischen unterschiedlichen Gewerkschaften seien unter den Tarifvertragsparteien selbst zu klären und dürften nicht durch staatliches Reglement entschieden werden.
In dem Pilotverfahren verhandeln die Richter über Beschwerden von Verdi, des Beamtenbunds dbb, der Luftverkehrsgewerkschaften Ufo und Vereinigung Cockpit sowie der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (Aktenzeichen Aktenzeichen: 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16).
Quellen und mehr:
Pressemitteilung Nr. 94/2016 vom 14. Dezember 2016
Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 100/2016 vom 28. Dezember 2016


Bei wechselnden Mitgliederzahlen an Mitgliedern annähernd gleich starker Gewerkschaften würde also jeweils abwechselnd der Tarifvertrag A oder der Tarifvertrag B (oder auch C) zur Anwendung kommen. Ein für die Praxis unhaltbares Ergebnis.
Das Verfahren erscheint auch aus einem anderen Grund selbst für eine starke Gewerkschaft von Bedeutung. Wenn ein Arbeitgeber für einen Betrieb mit einer schwachen Gewerkschaft einen "schnellen Tarifabschluss" erzielt - weil ja auch die Mobilisierung einer größeren Mitgliederzahl etwas länger dauern kann -, dann könnte unter Bezug auf das Tarifeinheitsgesetz (nur ein Tarifvertrag im Betrieb) der Gedanke aufkommen, dass weitere Tarifverträge nicht mehr möglich sind. Damit wären auch einer stärken Gewerkschaft "die Hände gebunden".
Nun könnte der Verweis auf die jeweils an Mitgliedern stärkste Gewerkschaft entgegengehalten werden. Ganz abgesehen davon, dass kaum eine Gewerkschaft bereit sein dürfte, dem Arbeitgeber konkrete Angaben über die Zahl der Mitglieder in einem Betrieb zu geben. *)
Eine an Mitgliedern starke, aber in der Auseinandersetzung eher zurückhaltend und inaktiv auftretende Gewerkschaft würde also die kleinere, effektiv tätige Gewerkschaft übertreffen. Damit ist aber eine Beeinträchtigung der kleineren Gewerkschaft und ihrer Mitglieder verbunden, die sogar zur Auszehrung dieser so "übertrumpften" Gewerkschaft führen könnte. Denn wer engagiert sich in einer Gewerkschaft, die sich im jeweiligen Betrieb nicht mehr betätigen kann? Eine verfassungswidrige Behinderung der Koalitionsfreiheit.

Es ist primär Sache der Gewerkschaften, sich untereinander zu verständigen, welche Gewerkschaft für welchen Betrieb oder welche Gewerkschaft ggf. für welche Berufsgruppe in der Einrichtung zuständig ist. Innerhalb des DGB gibt es solche Absprachen schon längst. Und auch zwischen anderen Gewerkschaften gibt es entsprechende Abstimmungen. Einzelfälle, die vorübergehend zu Verirrungen führen, benötigen keine gesetzliche und umfassende Regelung.


*)
Es ist im Übrigen völliger Unsinn, dass Gewerkschaften auf diesem Weg gezwungen werden, ihre Mitgliederzahlen zu offenbaren. Die Unsicherheit über die Schwäche oder Stärke einer Koalition trägt vielfach zum Gelingen von Tarifverhandlungen bei.

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