Montag, 4. September 2017

Bedingungen und Potentiale kollektiven Handelns in der Altenpflege

...ist der Titel einer geplanten Veröffentlichung des Politologen Prof. Dr. Wolfgang Schroeder, die sich auf der Grundlage einer Erhebung unter 749 Altenpflegekräften mit den Arbeitsbeziehungen in der Pflege auseinandersetzt. Wesentliche Zielsetzung der Untersuchung ist es, den Handlungsspielraum der Beschäftigten in der Altenpflege auszuloten.
In den WSI-Mitteilungen 3/2017 (Schwerpunktheft ERWERBSTÄTIGKEIT IM SOZIAL- UND GESUNDHEITSSEKTOR: AUSGEBAUT, AUFGEWERTET, AUSGEBREMST?) hat Schroeder unter dem Titel "Altenpflege zwischen Staatsorientierung, Markt und Selbstorganisation" eine erste Zusammenstellung der Ergebnisse vorgelegt.

Schroeder verweist darauf, dass der "fulminanten Aufstieg der frauendominierten Care-Arbeit in einer zunehmend wettbewerblich strukturierten Sozialwirtschaft" sich in "enormen Wachstumsraten" und einem "starken gesellschaftlichen Bedeutungs- und Reputationsgewinn der Beschäftigten" niedergeschlagen hat, dabei aber selbstbewusstes, kollektives Beschäftigtenhandeln sich nicht in dem Maße entwickelt hat, wie es angesichts des Ausbau der ökonomischen Logik auf der Arbeitgeberseite notwendig gewesen wäre.

Als Teilbranche der Sozialwirtschaft erweist sich die Altenpflege als "regelrechter Flickenteppich eigentumsrechtlicher, unernehmenspolitischer, verbandlicher, arbeitsplatzbezogener (ambulant/stationär) und vor allem qualifikatorischer Differenzen (Fachkräfte versus Hilfs- und angelernter Kräfte)." Es beseht ein "hoher Problemdruck hinsichtlich der gesundheitlichen und organisatorischen Belastungen für die Arbeitskräfte. Mehrarbeit, Personalmangel, Arbeitsverdichtung und Zeitdruck...überdurchschnittlich hohe Zahl physischer und psychischer Erkankungen mit der Folge eines hohen Krankenstandes."
Die statistischen Verhältnisse sind nach Schroeder bestimmt durch einen zwischen 1999 und 2015 von 43,7 auf 52,3 % gestiegenen privatwirtschaftlichen Anteil, "während die Anteile der freigemeinnützigen (von 51,4 auf 44,6 %) und öffentlichen Betriebe (von 4,9 auf 3,1 %) zurückgegangen sind." Der Frauenanteil liegt bei 85,7 % und die Mehrzahl der Beschäftigten ist "in sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen tätig".
Eine dennoch gegebene hohe Zufriedenheit der Beschäftigten führt Schroeder auf ein "Zufriedenheitsparadoxon" zurück, das in der Regel dann entstehe, wenn "die Verbesserung der Lebenslage nicht als realistisch betrachtet wird und stattdessen die eigenen Ansprüche verringert werden."
Auffallend sei auch, dass "dem Staat" eine hohe Verantwortung für notwendige Verbesserungen zugeschrieben wird, während man den Arbeitgebern wenig Verantwortung zuweise.
Als vorzüglich mit dem kirchlichen Bereich (nicht erst seit seinem jüngsten Werk "Konfessionelle Wohlfahrtsverbände im Umbruch"...) vertrauter Wissenschaftler verweist Schroeder auch auf den Umstand, dass der Sozialbereich und die Altenpflege auf der betrieblichen Ebene mit "unterschiedlichen Rechtsinstituten" (Betriebsräte, Personalräte, Mitarbeitervertretungen) konfrontiert sind; der Anteil von MAVen sei dabei zwar höher als der von Betriebsräten, allerdings werden die Gestaltungsspielräume im konfessionell gebundenen Bereich geringer eingeschätzt.
Der insgesamt positiven Wertschätzung von Gewerkschaften steht dennoch ein relativ niedriger Organisationsgrad gegenüber; es sei wohl "den gewerkschaftlichen Akteuren nur "unzureichend gelungen, die Vorteile einer Mitgliedschaft deutlich zu machen."

Schroeders Analyse macht deutlich, dass wir im Bereich der Altenpflege vor gewaltigen Herausforderungen stehen, wenn Verbesserungen bei den Beschäftigten ankommen sollen: in der Verantwortung sind Staat und Politik, "die Anstöße und Anreize" für "eine handlungsfähige Institutionenordnung der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen in der Altenpflege" zu schaffen haben; gleichzeitig müssen "die vorhandenen Arbeitgeberverbände sich als Akteure begreifen, die die Strukturen in der Branche so gestalten, dass dort eine höhere Attraktivität für Fachkräfte entsteht".

Und nicht zuletzt werden verhandlungs-, also mitgliederstarke Gewerkschaften benötigt, "damit die Altenpflege dem Beispiel der Erzieher und Erzieherinnen folgt und den Austieg aus der 'dritten Welt der Arbeitsbeziehungen'...beginnt."

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Caritas und Diakonie (und deren Beschäftigten) kommt in diesem Komplex eine besondere Verantwortung zu, wenn im Bereich der Altenpflege Werte bewahrt werden sollen, die mit der Marktorientierung nur begrenzt kompatibel sind.

Die ganze Diskussion ist schon etwas älter: Caritas auf der Suche nach dem Königsweg für die Zukunftsbranche Altenhilfe. Sie muss intensiv fortgesetzt werden.
Und Wolfgang Schroeder hat einen sehr wichtigen Beitrag zur Diskussion geleistet.

cm

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