Mittwoch, 13. Januar 2016

Katholisch - evangelisch - ökumenisch - ökonomisch (2)

Unter diesem Titel hatten wir bereits am 30. Dezember letzten Jahres über die Entwicklung beim katholischen Marienhaus-Konzern aus Trier berichtet. Wir werden unter diesem Titel immer wieder über Entwicklungen informieren, die Zweifel an der kirchlichen Zuordnung und der damit verbundenen Befreiung der "caritativen Einrichtungen" von den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes wecken können.

Heute wollen wir uns der Situation in Karlsruhe widmen.
In Karlsruhe gibt es drei große Krankenhäuser:
1. das städtische Klinikum mit bis zu 1.600 Betten und rund 4.000 Beschäftigten
2. die der Caritas angehörenden St. Vincentius-Kliniken gemeinnützige Aktiengesellschaft (gAG) mit über 760 Betten und rd. 1.900 Beschäftigten,
2.1. die Kliniken gAG sind einziger Gesellschafter der Tochtergesellschaft "St.-Marien-Klinik gGmbH" (einer kleineren Klinik, spezialisiert auf Frauenheilkunde und Geburtshilfe) und
3. das zur Diakonie gehörende Diakonissenkrankenhaus mit über 460 Betten und rd. 1.250 Beschäftigten. Das Diakonissenkrankenhaus (mit angeschlossenem Mutterhaus für Diakonissen) gehört mit einem Altenheim zur "Evangelischen Diakonissenanstalt Karlsruhe-Rüppur".


Der St. Vincentius-Verein Karlsruhe e.V. ist einziger Aktionär der St. Vincentius-Kliniken. Diese unterliegen nicht der Grundordnung, und haben arbeitsvertraglich den TVöD (VKA) vereinbart sowie (seit Frühjahr 2014) einen Betriebsrat nach den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes.

Die beiden "kirchlichen Häuser" sollen in Form einer neuen gAG fusionieren - deren Aktien dann zu 2/3 vom St. Vincentius-Verein und zu 1/3 von der Diakonissenanstalt gehalten werden sollen. Die Mitgliedschaft der neuen Aktiengesellschaft soll sowohl in dem zum Caritas-Verband gehörenden Katholischen Krankenhausverband wie auch im Diakonischen Werk Baden angestrebt werden.
Im Rahmen des Betriebsübergangs auf die neue gAG soll auch im Diakonissen-Krankenhaus ein Betriebsrat gewählt und dann - nach dem Ende der Wahlperiode des amtierenden Betriebsrats bei den Vincentius-Kliniken - ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt werden.
Die Anwendung des "weltlichen Rechts" wird nun in einzelnen Veröffentlichungen (z.B. ZMV 6/2015) unter Hinweis auf die Mitgliedschaft in beiden (!) kirchlichen Wohlfahrtsverbänden hinterfragt.


Wir meinen:
Die konsequente Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes ist richtig. Denn die Befreiung vom Betriebsverfassungsgesetz (§ 118 Abs. 2) gilt nur für die Kirchen selbst und ihre caritativen oder erzieherischen Einrichtungen. Diese können das Betriebsverfassungsgesetz freiwillig anwenden - sie müssen aber nicht.

A. Ausnahme vom Betriebsverfassungsgesetz und den Personalvertretungsgesetzen:
Der Staat hat "die Kirchen und ihre caritativen oder erzieherischen Einrichtungen unbeschadet ihrer Rechtsform" vom Geltungsbereich dieser Gesetze ausgenommen. Welche Einrichtungen sind damit umfasst?

I. Kirchen:
Mit den Kirchen sind - im Gegensatz zu den privatrechtlich konstituierten Religionsgemeinschaften - die (öffentlich-rechtlich) verfassten Kirchen gemeint, also insbesondere die evangelischen Kirchen sowie die katholische Kirche, deren (Erz-)Diözesen jeweils als "Körperschaften des öffentlichen Rechts" konstituiert sind. Dies ergibt sich aus Art. 140 GG i.V. Art. 138 WRV. Denn mit der Zuerkennung dieser öffentlich-rechtlichen "Rechtspersönlichkeit" ist erst die öffentlich-rechtliche Rechtsetzungsbefugnis verbunden, die es diesen Kirchen erlaubt, ein eigenständiges Mitarbeitervertretungsrecht zu schaffen. Und ein solches ist in den Personalvertretungsgesetzen gefordert.

II. caritative oder erzieherische Einrichtungen unbeschadet von deren Rechtsform:
Wie Frerk *) schreibt, ging es insbesondere der Kirchenkanzlei der EKD in Hannover bei der Einflussnahme auf die Gesetzgebung darum, "die Anstalten der Inneren Mission (heute: Diakonie) ebenfalls aus dem Gesetz auszuklammern."
Nun ist der Wunsch von Einzelnen, die am Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind, auch der jeweiligen Abgeordneten, für die Interpretation eines Gesetzes eher unmaßgeblich. Entscheidend ist primär der Wortlaut der Rechtsvorschrift.
Und im Bezug auf Krankenhäuser können wir uns Ausführungen zu "erzieherischen Einrichtungen" im Wesentlichen ersparen. Krankenhäuser werden allenfalls als "caritative Einrichtungen" im Sinne des Gesetzes zu verstehen sein.

Was also sind caritative Einrichtungen?
Hanau / Thüsing **) gehen soweit, jede Einrichtung, die ihre Leistungen "am Markt anbietet", nicht mehr als "caritativ" zu bezeichnen. Denn wer sich "am Wettbewerb beteiligt", sei nicht mehr selbstlos tätig.
Danach kann es seit der Umstellung der Refinanzierung vom "Selbstkostenprinzip" zum "Kostenwettbewerb" eigentlich keine "caritative Einrichtung" mehr geben. Denn alle Einrichtungen der Caritas und Diakonie stehen im Wettbewerb - zumindest im Preiswettbewerb um günstigere Gestehungskosten, aber auch im Wettbewerb um Patienten und Bewohner. Mit dem insbesondere von der Diakonie vorangetriebenen Kostenwettbewerb (der "Dritte Weg als Wettbewerbsvorteil um Marktanteile") hätte die Diakonie demnach selbst den Weg aus der "caritativen Tätigkeit" und zur Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes beschritten.

Wenn man den Begriff "caritativ" etwas enger auslegt, ergibt sich folgende Überlegung:
Die Befreiung gilt nicht für Einrichtungen, die nicht caritativ, nicht uneigennützig, sondern gewerblich (mit der Absicht der Gewinnerzielung) betrieben werden (vgl. auch LAG München vom 9.10.85, NZA 1986, 540). Für die gewerblichen Betriebe ist ausdrücklich keine Befreiung vorgesehen. Auf die Mitgliedschaft in einem kirchlichen Wohlfahrtsverband soll es gerade nicht ankommen (vgl. BAG, B. v. 05.12.2007 zum BetrVG). Denn auch natürliche Personen oder gewerblich tätige Unternehmen können etwa dem Caritasverband als Fachverband in der Rechtsform eines eingetragenen Vereines (e.V.) beitreten.
Entscheidend ist nach dem Wortlaut des Gesetzes ausdrücklich und nur die Art der Tätigkeit. Nur die (öffentlich-rechtlich konstituierten) Kirchen sowie deren "caritative Einrichtungen" und "erzieherische Einrichtungen" sind vom Betriebsverfassungsgesetz befreit.
Caritativ ist eine Einrichtung nur, wenn sie uneigennützig und ohne die Absicht der Gewinnerzielung betrieben wird. Das Gegenteil ist die gewerbliche, also die wirtschaftliche Tätigkeit. Jede Caritas- und Diakonie-Einrichtung wird aber mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben. Denn jede Einrichtung benötigt Gewinne, zumindest um Investitionen zu finanzieren oder Einnahmeschwankungen auszugleichen. Vielfach werden die Gewinne einzelner Betriebe auch genutzt, um die Kosten anderer Einrichtungen - etwa der Alten- und Pflegebetreuung für Ordensangehörige - zu finanzieren.
Ob eine gemeinnützige oder eine gewerbliche Tätigkeit im Sinne des Gesetzes vorliegt, ist primär vom Staat zu prüfen, da es sich um die Anwendung und Auslegung eines staatlichen Gesetzes handelt.

Die Bischöfe haben nun mit der bundesweit einheitlich seit 01. Januar des Jahres geltenden Neufassung der Grundordnung vorgegeben, dass eine Einrichtung, die der Gewinnerzielung dient, nicht der Grundordnung unterliegt. Diese Einrichtungen - das sei hier festgestellt - können sich auch nach katholisch-kirchlichem Recht nicht mehr "unter dem Schutzmantel von Mutter Kirche" verstecken. Die Neuregelung der Grundordnung kann - bei systematischer Interpretation im Kontext mit § 118 Abs. 2 BetrVG - wohl nur so verstanden werden, dass die Bischöfe selbst die Absicht der Gewinnerzielung als Unvereinbar mit Caritas als kirchlicher Selbstverwirklichung gesehen haben. Denn
"Vorwiegend gewinnorientiert" kann es genauso wenig geben wie "ein bisschen gewinnorientiert" oder "ein bisschen schwanger". Eine Einrichtung arbeitet entweder gewinnorientiert oder nicht, sie kann aber weder "ein bisschen" noch "vorwiegend" gewinnorientiert tätig werden.
Einrichtungen mit der Absicht der Gewinnerzielung sind aber nicht mehr caritativ bzw. uneigennützig tätig und damit auch nicht von der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes befreit.


B. keine Überkonfessionellen Kirchen:
Die Ausnahme gilt nur für die jeweiligen Kirchen selbst - und deren Einrichtungen. Es gibt keine "überkonfessionellen" Kirchen. Daher kann die Ausnahme grundsätzlich nicht für Einrichtungen in über- oder mehrkonfessioneller Trägerschaft zum Tragen kommen.
Hier stellt sich schon die Frage, ob denn MAVO (katholisch) nach dem "Recht des Mehrheitsgesellschafters" oder MVG (evangelisch) nach dem "Recht des Minderheitsgesellschafters" anzuwenden wäre.
Wenn denn die Anwendung eines kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts in Frage käme - was wir bei gewerblichen Betrieben grundsätzlich infrage stellen - dann wird sicher der "Minderheitsgesellschafter" nicht sein Recht dem "Mehrheitsgesellschafter" überstülpen können.


C. Kirchliche Entscheidung zur Anwendung des staatlichen Gesetzes:
Der Staat hat den Kirchen für diese kirchliche Einrichtungen frei gestellt, ein eigenes Mitarbeitervertretungsrecht zu schaffen. Es ist den Kirchen unbenommen, freiwillig die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes in Gänze oder für einzelne Einrichtungen vorzusehen, selbst wenn diese tatsächlich caritativ oder erzieherisch tätig sein sollten.
Ob nun eine Einrichtung katholisch ist und daher katholisches Arbeitsrecht anwenden darf oder nicht - das bestimmen für die katholische Kirche die Bischöfe. Und ob eine katholische Einrichtung das kirchliche Betriebsverfassungsrecht anwenden soll, selbst wenn diese Einrichtung davon (nach staatlichem) Recht befreit wäre, bestimmen die Bischöfe ebenso ***).
Diese Bischöfe haben nun durch die Grundordnung als kirchenrechtlich einheitliche Rechtsnorm festgeschrieben, dass nur durch die Anwendung der Grundordnung insgesamt die Befreiung vom staatlichen Arbeitsrecht auch seitens der kirchlichen Oberen akzeptiert wird. Nur wer ausnahmslos die gesamte Grundordnung in seinen Einrichtungen umsetzt, soll diese auch arbeitsrechtlich als spezifisch katholisch bezeichnen dürfen.
"Ein bisschen katholisch" kann es genauso wenig geben wie ein bisschen schwanger.
Die Grundordnung richtet sich nun primär an die kirchlichen Arbeitgeber. Sie gilt für kirchliche Mitarbeiterinnen nicht unmittelbar, sondern erst, wenn und insoweit sie ausdrücklich arbeitsvertraglich vereinbart ist (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 -). Eine "Gesetzgebungskompetenz" oder "Rechtsetzungsbefugnis" gegenüber Beschäftigten und deren Verbänden, insbesondere wenn diese nicht selbst katholisch sind, besteht nicht. Die Bischöfe können mit kirchenrechtlichen Regelungen nur die ihnen unterstehenden kirchlichen Rechtsträger verpflichten. Diese müssten dann die entsprechenden Regelungen arbeitsvertraglich vereinbaren.

Erst die Anwendung der Grundordnung insgesamt führt zu einer katholisch-kirchlichen Einrichtung im arbeitsrechtlichen Sinn. Das macht abweichende Regelungen nicht unwirksam. Im Gegenteil: da z.B. die Bestimmungen des "Dritten Weges" nur als "Allgemeine Geschäftsbedingungen" (§§ 305 ff BGB) vereinbart sind, kann jederzeit einzelvertraglich rechtswirksam eine Abweichung vereinbart werden.
Diese Einrichtungen sollen dann aber nicht als "spezifisch Tätigwerden der katholischen Kirche" in Erscheinung treten. Sie sind keine "Verwirklichung" der Caritas als spezifisch katholischer Liebesdienst am Nächsten ****).
Und was schon für Einrichtungen in vollständig katholischem Eigentum gilt, das muss für Einrichtungen mit gemischter Eigentümerschaft erst recht gelten.



*)
Frerk, "Kirchenrepublik Deutschland" zur Entstehungsgeschichte des Betriebsverfassungsgesetzes, Albri-Verlag, 2015, S. 9 ff (12)

**)
Hanau / Thüsing, »Grenzen und Möglichkeiten des Outsourcings aus dem kirchlichen Dienst« in KuR 2002, RNr. 350, S. 119 ff,
zitiert im Kircheninfo Nr. 8, Frühjahr 2007 Seite 22

***)
a.A. wohl Berroth in ZMV 6/2015, S. 335 - der die Entscheidung der staatlichen Gerichte anmahnt, aber mit der hierarchischen Stellung der Bischöfe im katholischen Kirchenrecht nicht so richtig vertraut scheint.
So war die Anwendung des staatlichen Mitbestimmungsrechts bei der katholischen Universität Eichstätt möglich, weil die Bischöfe dies ausdrücklich so vorgesehen haben. Sie haben damit einen Konflikt über die Frage, ob eine Universität eine caritative oder eine erzieherische Einrichtung ist, durch die freiwillige Zuweisung des staatlichen Rechts umschifft.

****)
vgl. Sczepanski im Kircheninfo Nr. 8, Frühjahr 2007 Seite 21 f

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