Sonntag, 20. März 2016

Medienrückschau: Ist das deutsche AGG wirklich EU-konform?

Der "Equal Pay Day: vom Wert der Arbeit" rückt zurecht jedes Jahr wieder die Benachteiligung von Frauen in den Fokus. Allerdings ist der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur auf Frauen beschränkt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet die nicht gerechtfertigte Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität (§ 7 Abs. 1 i.V. mit § 1)

Beim Bundesarbeitsgericht und bei den Grünen hat das Diskriminierungsverbot mit seiner deutschen Ausprägung im AGG in der letzten Woche zu bemerkenswerten Verlautbarungen geführt:


Auf den Seiten 21 bis 25 finden sich die Schwerpunkte "Loyalitätspflichten" und "Verweigerung von Tarifverträgen" (Dritter Weg).
Unter dem Stichwort "Loyalitätspflichten" wird u.a. ausgeführt:
... Durch Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 9 AGG) und der arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinie wollen wir die Ausnahmen für die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften enger fassen und damit den individuellen Rechten deutlich mehr Geltung verschaffen. Der Staat muss seiner Schutzpflicht gerecht werden und einen Rechtsrahmen liefern, „innerhalb dessen Gerichte eine gerechte Abwägung vornehmen können.“

...
§ 9 Abs. 1 AGG ist zu reformieren, um den Schutz der Privatsphäre und die freie Entfaltung der Persönlichkeit von Mitarbeiter*innen in kirchlichen Einrichtungen zu gewährleisten. Artikel 4 Absatz 2 der arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinie der EU wollen wir entsprechend ändern: Die arbeitsrechtliche Privilegierung kirchlich, religiös oder weltanschaulich geprägter Arbeitgeber gegenüber ihren Beschäftigten soll auf den Tendenzschutz beschränkt werden. Außerdienstliches und privates Verhalten eines Beschäftigten einer Kirche, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft, dessen Tätigkeit nicht den Bereich der Verkündigung umfasst, darf keine arbeitsrechtlichen Auswirkungen haben.
Kommentare:
Von Ingrid Matthäus-Maier: "Ein Fortschritt, doch es bleiben Wünsche offen"
und aus der Redaktion voraussichtlich zum Thema "Unternehmensmitbestimmung" am Dienstag, zum "Dritten Weg" am kommenden Donnerstag
 
Das BAG legt die entsprechende Frage dem EuGH vor
Pressemitteilung Nr. 15/16

Berücksichtigung der Konfession bei der Einstellung?

Der Beklagte ist ein Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Für ihn gilt die Richtlinie des Rates der EKD nach Art. 9 Buchst. b Grundordnung über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der EKD und des Diakonischen Werkes vom 1. Juli 2005. Im November 2012 schrieb der Beklagte eine befristete Referentenstelle für das Projekt „Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention“ aus. Die Ausschreibung enthielt ua. folgende Angabe: „Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus. Bitte geben Sie Ihre Konfession im Lebenslauf an.“ Die konfessionslose Klägerin, deren Bewerbung nach einer ersten Bewerbungssichtung des Beklagten noch im Auswahlverfahren verblieben war, wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage von dem Beklagten eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. mindestens 9.788,65 Euro. Sie ist der Auffassung, sie habe die Stelle wegen ihrer Konfessionslosigkeit nicht erhalten. Dies sei jedenfalls bei unionsrechtskonformer Auslegung nicht mit dem Diskriminierungsverbot des AGG vereinbar.

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren nach Zahlung einer angemessenen Entschädigung weiter.

Im Hinblick auf das grundsätzliche Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung des AGG hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

1. Ist Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber, wie der Beklagte im vorliegenden Verfahren, bzw. die Kirche für ihn - verbindlich selbst bestimmen kann, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts seines/ihres Ethos darstellt?

2. Sofern die erste Frage verneint wird:
Muss eine Bestimmung des nationalen Rechts wie hier § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen auch zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung des Selbstverständnisses dieser Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt, in einem Rechtsstreit wie hier unangewendet bleiben?

3. Sofern die erste Frage verneint wird, zudem:
Welche Anforderungen sind an die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG zu stellen?

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 17. März 2016 - 8 AZR 501/14 (A) -

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Quellen:
BAG Pressemitteilung Nr. 15/15
Juris: EuGH-Vorlage: Berücksichtigung der Konfession bei der Einstellung?
Der Arbeits-Rechtsberater

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