Sonntag, 5. März 2017

Sonntagsnotizen: Kommentare zu Verdi und dem 3. Weg

Im Heft der Neuen Caritas vom 13. Februar hat sich der Geschäftsführer des Katholischen Krankenhausverbandes Deutschlands, Thomas Vortkamp, in einem Kommentar kritisch mit dem Verhältnis, das Verdi gegenüber dem 3. Weg einnimmt, befasst.

Der Kommentar ist hier zugänglich:
Der Beitrag ist als Aufforderung zur Diskussion angelegt, allerdings sind die öffentlichen Diskussionsbeiträge dann doch überschaubar gewesen. 
Der Kollege Christof Mock* hat einen längeren Diskussionsbeitrag veröffentlicht, der aber aus technischen Gründen nur  in viele Abschnitte zerlegt veröffentlicht ist. 

Mit seiner Erlaubnis veröffentlichen wir diesen Beitrag hier noch einmal ungeteilt:

Der Kommentar von Thomas Vortkamp „Verdi oder der Dritte Weg“ ist ein einziges Ärgernis. Hier passt aber auch gar nichts! 
Der Umstand, dass eine Gewerkschaft Mitglieder braucht, ist eine banale Selbstverständlichkeit: die Arbeitnehmer haben sich in Gewerkschaften organisiert, um ihre kollektiven Interessen durchzusetzen; die besten Erfolge haben mitgliederstarke Gewerkschaften. Übrigens wünschen sich auch Kirchen, Parteien oder Sozialverbände wie die Caritas Mitglieder, oder etwa nicht? Und wo sind eigentlich die stärksten Mitgliederverluste? Und hat die Entwicklung vielleicht sogar Ursachen, die einen inneren Zusammenhang haben? Man hat wirklich keinen Anlass, hämisch darauf hinzuweisen: „Verdi braucht Mitglieder!“. Übrigens weist selbst der Generalsekretär in seinem Buch „Armut in Deutschland“ und in zahlreichen seiner Interviews darauf hin, dass gegenüber dem Skandal, dass zahlreiche hart und ganztags arbeitende Personen, „die gesellschaftlich notwendige Arbeit leisten und dennoch an der Grenze des soziokulturellen Existenzminimums leben“, im Wesentlichen nur eine Perspektive haben: „Abhilfe wird nur möglich sein, wenn es den Gewerkschaften gelingt, in den expandierenden Dienstleistungssektoren stärker Fuß zu fassen, um einem weiteren Anstieg der Lohnungleichheit entgegenzuwirken.“ (Prof. Cremer, Armut in Deutschland, S.91)

Ja, die Gewerkschaften kämpfen für einen Tarifvertrag Entlastung. Sie haben in der Berliner Charité schon einen ersten Anfangserfolg erzielt und sie kämpfen derzeit bundesweit mit Schwerpunkt Saarland für einen Tarifvertrag Entlastung. Ja, und sie fordern diejenigen, die seit 5 Jahrzehnten sich an ihren Tarifen BAT und TVöD in der wesentlichen Substanz orientieren, nämlich die kirchlichen Wohlfahrtsverbände und ihre Einrichtungen bzw. deren Beschäftigte dazu auf, sich an dieser Kampagne zu beteiligen. Verdi hat sich im Adressaten geirrt? Alle wesentlichen Errungenschaften der Arbeitnehmer in der über 150jährigen Geschichte der Arbeiterbewegung mussten die Beschäftigten selber durchsetzen! Vor 60 Jahren endete beispielsweise der längste Streik in der Geschichte der Bundesrepublik, mit dem in der Metallindustrie Schleswig-Holsteins die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall tariflich durchgesetzt wurde; heute gilt dieser Streik als grundlegend für die erst Jahre später erfolgte gesetzliche Regelung.
Dass die Grundordnung des kirchlichen Dienstes Tarifverträge und Streiks ausschließen, mag sein; das Grundgesetz der Bundesrepublik schließt beides nicht aus; welches Recht höher zu bewerten ist, werden im Bedarfsfall die Gerichte entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 15. Juli 2015 weder den Dritten Weg bestätigt noch eine Beteiligung der Gewerkschaften angemahnt. Das kann man nachlesen! Und das Bundesarbeitsgericht hatte am 20. November 2012 das strikte kirchliche Streikverbot der Kirchen für unwirksam erklärt. Die gegen das BAG-Urteil erhobene Verfassungsbeschwerde richtete sich nicht gegen das Urteil, denn die Gewerkschaften hatten obsiegt, sondern gegen die Urteilsgründe, mit denen sich die Gewerkschaften beschwert sahen (und sehen). Und der Tenor des Beschlusses des  Bundesverfassungsgerichts ist dann doch eher der, dass es die Klärung der strittigen Fragen für den Fall in Aussicht stellt, dass die Gewerkschaften fachgerichtlich unterliegen. Ein entsprechendes Urteil, welches das Streikverbot bestätigt, gibt es nicht, weder vom BAG noch vom BVerfG.
Verdi ist nun, anders als der Marburger Bund, der Einladung, in der Arbeitsrechtlichen Kommission mitzuwirken, nicht nachgekommen. Verdi und Marburger Bund haben in der Neuen Caritas vom 23. Mai 2016 ihre Position zum 3. Weg dargestellt; beide Gewerkschaften kritisieren den 3. Weg grundsätzlich und wollen auch mit den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Tarifverträge abschließen. Der Marburger Bund beteiligt sich am 3. Weg, obwohl er ihn ablehnt; Verdi beteiligt sich nicht am 3. Weg, weil sie ihn ablehnt.
Über eine mangelnde Einbindung können sich die Gewerkschaften insofern nicht beklagen, als die einschlägigen Tarifverträge von Verdi und MB seit langem die Substanz von Inhalt, Struktur und Niveau der AVR Caritas bilden. Dass die Beschäftigten der Caritas sich in den Gewerkschaften, solidarisch und gemeinsam mit weltlichen und kirchlichen Kolleginnen und Kollegen im Sozialbereich an Gestaltung und Durchsetzung ihrer Tarifergebnisse beteiligen, bleibt einstweilen ein frommer Wunsch der katholischen Soziallehre (etwa in der klassischen Gestalt von Oswald von Nell-Breuning).
Warum sollte Verdi in der AK Caritas darum „kollektiv betteln“, dass ihre Tarifregelungen, die sie in Tarifverhandlungen durchgesetzt hat, auch bei der Caritas Geltung erlangen? Um dann erleben zu müssen, dass das Instrumentarium der Kommission mit wachsender Tendenz nur noch zu verspätete, regional zersplitterte und schlechtere Umsetzungen erlaubt?
Bessere Rahmenbedingungen in der Pflege wird es dann geben, wenn mitgliederstarke Gewerkschaften diese durchsetzen. Wir von der Caritas werden dann daran nicht vorbeikommen. 

*Der Kollege Christof Mock ist Beschäftigter einer Caritas-Einrichtung, Mitglied der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes und Verdi-Mitglied.

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