Montag, 18. März 2024

Europa und das (kirchliche) Arbeitsrecht in Deutschland

Bereits im Februar fand das Jahrespressegespräch des Bundesarbeitsgerichts als Hybrid-Konferenz statt. Wir erlauben uns, aus der Pressemitteilung 6/24 - Jahrespressegespräch beim Bundesarbeitsgericht zu zitieren:
Frau Gallner hob wie in den Vorjahren hervor, dass das deutsche Arbeitsrecht in weiten Teilen durch das europäische Arbeitsrecht überformt ist. Sie nannte beispielhaft die Entscheidung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023 (- 8 AZR 450/21 -), die Fragen der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen behandelt. Außerdem sprach sie Vorabentscheidungsverfahren bei Kündigungen im Zusammenhang mit Austritten aus der katholischen Kirche an (BAG 1. Februar 2024 – 2 AZR 196/22 (A) -; erledigt: EuGH – C-630/22 – [Kirchliches Krankenhaus]; BAG 14. Dezember 2023 – 2 AZR 130/21 -; 21. Juli 2022 – 2 AZR 130/21 (A) -). Frau Gallner erwähnte, dass auch im Massenentlassungsverfahren wegen der Rechtsfolgen von Fehlern im Anzeigeverfahren ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet ist (BAG 1. Februar 2024 – 2 AS 22/23 (A) -; vorgehend: BAG 14. Dezember 2023 – 6 AZR 157/22 (B) -).
Die Einzelheiten des Jahresberichts können auf der Homepage des Bundesarbeitsgerichts unter www.bundesarbeitsgericht.de eingesehen werden.

Bemerkenswert, dass in dem zitierten (einzigen) Absatz der Pressemitteilung, in der konkrete Verfahren angesprochen wurden, das deutsche kirchliche Arbeitsrecht so prominent genannt wird.
Allerdings ist das bei näherer Betrachtung auch wenig überraschend.
Wenn es um kirchenspezifische Anforderungen geht, dann müsste die deutsche katholische Kirche erklären, warum die katholische Kirche etwa bezüglich der gewerkschaftlichen Kooperation in Frankfurt/Oder zwingend anders handeln will als im benachbarten Slubice, im deutschen Guben anders als im polnbischen Gubin, in Freilassing anders als in Salzburg, in Kiefersfelden anders als in Kufstein, in Mittenwald anders als in Scharnitz oder Innsbruck, in Lindau anders als in Bregenz, in Freiburg anders als in Straßburg, in Trier anders als in Luxemburg, oder in Aachen anders als in Lüttich und Maastricht. Und außer allgemeinem Geseiere wird da nicht recht viel an substanzieller Begründung übrig bleiben.

Sonntag, 17. März 2024

Sonntagsnotiz zu Kardinal Cordes - Trauerfeier am Montag

Im Kontext mit der päpstlichen Aufforderung zur Entweltlichung haben wir seit über 10 Jahren öfter auf Kardinal Cordes und seine Veröffentlichungen verwiesen. Der deutsche Kurienkardinal ist am Freitagmorgen im Alter von 89 Jahren in Rom verstorben. Wir möchten hier an den standhaften Verfechter der "Entweltlichung" aus dem caritativen Dienst erinnern.
Wenn man sich vergegenwärtigt, wer trotz einer wochenlangen Erkrankung die Riten der „Ultima Commendatio" (Aussegnung) und „Valedictio" (Verabschiedung) vornehmen wird, wird man feststellen: diese Aufforderung ist weder durch den Tod von Papst Benedikt noch durch den Tod seines Interpreten verstummt.

Quellen:
Nachruf des Domradio, Katholisch.de, VatikanNews,

Donnerstag, 14. März 2024

499 Jahre Menschenrechte in Europa

Am 14./15. März 1525 wurden in Memmingen die zwölf Bauernartikel unterzeichnet. Diese Forderungen gelten bislang als die erste Menschenrechts-Erklärung Europas, (Süddeutsche Zeitung), denn sie beinhaltet die "Freiheit ALLER Menschen". Es sollten noch mehr als 400 Jahre vergehen, bis die Vereinten Nationen 1948 die Allgemeinen Menschenrechte deklarierten.
Zu diesen "Allgemeinen Menschenrechten" gehört nach "moderner Auffassung" auch das Streikrecht (vgl. ver.di: "Wie ist das Recht auf Arbeit in den Menschenrechten verankert?"). Es ist mehr als ein "Bürgerrecht", weil auch ausländische Arbeitnehmer an gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen teilnehmen können. Es sind "soziale Menschenrechte"
Art. 9 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) gewährt jedermann und allen Berufen das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden.
Nach heute einhelliger Auffassung und wie auch mehrfach vom Bundesverfassungsgericht bekräftigt, ergibt sich aus Art. 9 Abs. 3 GG die grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen. Die Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen folgt aber nicht nur aus dem Grundgesetz. Auch die Europäische Sozialcharta und der UN-Sozialpakt garantieren Streikrecht und Koalitionsfreiheit, in beiden wird das Streikrecht im Gegensatz zu Art. 9 Abs. 3 GG sogar ausdrücklich in Bezug genommen. ...
(Zitiert aus Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, WD 6 - 3000 - 076/15. Das gilt auch für kirchliche Einrichtungen. Nur: die Kirchen in Deutschland wollen das - für die katholische Kirche auch entgegen dem Katechismus und dem päpstlichen Lehramt - nicht für sich anerkennen. Die Entscheidungsträger glauben, dass Grundrechte nicht in der Kirche gelten sollen.

Nun ja, Kirchen im Allgemeinen und die deutschen Kirchen im Besonderen rechnen "in Ewigkeitsmaßstäben". Und dass die sehr behäbigen alten Herren vielen Entwicklungen hinterher hinken, ist nicht nur im Arbeitsrecht zu beobachten. Wir werden sehen, ob wir das in einem Jahr nochmal feststellen müssen.

Mittwoch, 13. März 2024

Weil es derzeit heiß diskutiert wird ...

man kann ja zu einzelnen Arbeitskämpfen durchaus unterschiedliche Meinungen haben. Entscheidend ist aber, dass in Deutschland das Recht zum Streik auch verfassungsrechtlich geschützt ist. Es darf nicht einmal im Katastrophenfall beschränkt werden (Art. 9 Abs. 3 S. 3 Grundgesetz). Auf die subjektive Meinung von betroffenen Einzelpersonen oder Interessenverbänden von Unternehmern kommt es dabei nicht an. Das haben höchstrichterliche Urteile immer wieder bestätigt:
Auf Seiten der Gewerkschaften bedarf es des Streiks, um ihre strukturelle Verhandlungsschwäche auszugleichen. Ohne diese oder gleich effektive Eskalationsstufen zur Herstellung von Kompromissfähigkeit wären Kollektivverhandlungen nur „kollektives Betteln“ (grundlegend BAG, Urteil vom 12. September 1984 - 1 AZR 342/83 -, juris, Rn. 96). Ein fairer und ausgewogener Ausgleich gegensätzlicher Arbeitsvertragsinteressen im Wege kollektiver Verhandlungen beruht insoweit auf annähernd gleicher Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>; 146, 71 <127 f. Rn. 164>).
zitiert aus BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 719/19 - und - 1 BvR 720/19 - vom 9. Juli 2020.
Etwas anderes mag für Beamte gelten, wo die besondere Fürsorgepflicht des Dienstherren einen Arbeitskampf entbehrlich erscheinen lässt. Wer aber seine Dienstverhältnisse durch Privatisierungen oder in der freien Entscheidung für das privatrechtliche Arbeitsverhältnis dem normalen Arbeitsrecht unterwirft, der nimmt auch Arbeitskämpfe billigend in Kauf.
Das gilt auch für die Kirchen, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung inzwischen ebenfalls bestätigt hat (wir berichteten). Und auch wenn die kirchlichen Arbeitgeber das anders behaupten: Selbst Sympathie- bzw. Solidaritätsstreiks sind im allgemeinen erlaubt: BAG, Urteil vom 19.06.2007, 1 AZR 396/06.

Montag, 11. März 2024

Streikrecht ist Grundrecht - Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte !

Letzte Woche war es soweit:
Wir haben unsere Petition "Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte" mit mehr als 37.200 Unterschriften (💪💪💪) an MdB Mathias Papendieck von der SPD und Manuel Emmler für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen übergeben.
🥳 Mehr als 250 Teilnehmende sind dafür extra aus der ganzen Republik angereist und haben nochmal eindrucksvoll bewiesen, dass endlich Schluss sein muss mit der Diskriminierung kirchlich Beschäftigter wegen privater Entscheidungen!
👉 Es ist Zeit für Veränderung! Es ist Zeit für volle Mitbestimmung auch in kirchlichen Betrieben!


Presseberichte (Auszug):
evangelisch.de: Kirchen weisen Forderungen der Gewerkschaft ver.di zurück
katholisch.de "Gewerkschaft Verdi übergibt Petition gegen kirchliches Arbeitsrecht" (mit mehrfachen Behauptungen, die wir längst widerlegt haben)
nd-magazin: Arbeitsrecht bei Kirchen: Schluss mit Sonderregeln
SAT.1 NRW: HEBAMME REICHT PETITION GEGEN KIRCHLICHE SONDERBEHANDLUNG EIN
VaticanNews: D: Katholiken und Protestanten wollen Zusammenarbeit stärken

Sonntag, 3. März 2024

Sonntagsnotizen - Religionssoziologe sieht wachsende "Kirchen-Resilienz"

das berichtete u.a. das Domradio am 26. Feburar:
Der Wiener Theologe und Religionssoziologe Paul Zulehner sieht die Gesellschaft "mitten in einem Wandel von einer Priesterkirche zu einer Taufberufungskirche". Daten einer noch bis Ende März laufenden Online-Befragung zeigen dies.
Dort wird dann auch weiter erklärt:
Zum Thema "Kirchen-Resilienz" sagte Zulehner, es gebe "viele Irritationen im kirchlichen Eigenbau". Mit Enttäuschung, manchmal auch "Christenwut" werde auf geistlichen und sexuellen Missbrauch reagiert, auf gefühlte Diskriminierungen von Frauen und Menschen mit "diverser" sexueller Orientierung, auf "unzeitgemäße, aber auch unehrliche Lebensform von Priestern".

Gegen Missstände in der Kirche resilient zu sein, lähme keinesfalls die Bereitschaft, Reformen zu fordern und zu betreiben, so der Theologe. "Kirchen-Resiliente treten auf, nicht aus." Und weiter:

"Gerade weil die taumelnde Welt und auch die gefährdete Demokratie eine Religion der Hoffnung braucht, die für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einsteht, sollten wir (...) auch bei innerem wie äußerem kirchlichem Gegenwind für Gott und seine Verheißungen öffentlich unverdrossen einstehen."
Kirchen-Resilienz heißt also wohl mit anderen Worten, nicht demütig oder gar "duckmäuserisch" in blindem Gehorsam alles abzunicken, was ein Priester da von sich gibt, sondern darüber nachzudenken und ggf. auch aufzustehen und Änderungen zu fordern.
In dem Sinne bin ich dann wohl auch "Kirchen-Resilient". Ich denke nicht daran, den "Betel hinzuwerfen" - den Gefallen tu ich niemandem. Ihr müsst damit leben, dass ich Euer Tun nach wie vor an Euren Worten messe und ggf. dann auch aufstehe und eine Änderung Eures Verhaltens einfordere. Und ich wünsche mir viele Mitstreiter. Das ist bei dem bewiesenen klerikalem Beharrungsvermögen notwendig. Denn es ist schon lange nicht mehr "fünf nach zwölf".

Meint jedenfalls
E.S.

Samstag, 2. März 2024

In ganz Europa: Kein Vertrauen in die katholische Kirche

Dass das selbst im "katholischen Irland" so ist, zeigt ein Bericht von katholisch.de:
AUSWIRKUNGEN DES MISSBRAUCHSSKANDALS DURCH GEISTLICHE "BRUTAL"
Ex-Präsidentin: Iren vertrauen der katholischen Kirche nicht mehr

.... "Die Kirche hat in Irland enorm an Boden verloren. Die Menschen vertrauen ihr nicht mehr", sagte McAleese dem Schweizer Portal "kath.ch" (Freitag). Die Zahl derer, die sich in Volkszählungen als katholisch identifizieren, nehme weiter rapide ab. Gleiches gelte für die Zahl der Kirchenbesucher und der Spenden. "Einzig die Zahl der Kirchenschließungen steigt", so die promovierte Kirchenrechtlerin. .....
Was dort geschildert wird, findet sich genau so auch in anderen europäischen Staaten (und nicht nur da). In Deutschland kommt neben dem bei katholisch.de angesprochenen Thema noch ein Weiteres dazu. Die Kirche hat die Arbeiterschaft verloren. Dieser beständig andauernde Skandal wurde schon in der "Würzburger Synode" thematisiert. Ausser verbalen Lippenbekenntnissen zu Gewerkschaften hat sich an der Ursache dieses Vertrauensverlustes nichts geändert. Daran ändern auch vereinzelte Kooperationen wie die "Allianz für den freien Sonntag" nichts.
Im Gegenteil: mit dem Festhalten an der historisch schwer belasteten Begrifflichkeit der "Dienstgemeinschaft", mit der daraus abgeleiteten Verweigerung von Tarifverträgen und mit - vielfach als absurd empfundenen - Anforderungen bis hinein in das Schlafzimmer der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat die Kirche immer wieder gezeigt, dass sie nichts gelernt hat. Sie ist selbst unfähig, sich zu reformieren - da jede Reform einen Verlust von weltlicher Macht mit sich bringt. Und dazu sind die Bischöfe trotz päpstlicher Appelle zur "Entweltlichung" nicht bereit.
Sämtliche bisherigen "Reförmchen" gingen nur soweit, wie das durch die Vorgaben aus dem "weltlichen Bereich" aufgezwungen war - sei es durch gesetzliche Regelungen, sei es (und das sogar überwiegend) durch die hierzu gegenüber den Kirchen ergangene Rechtsprechung. Ansonsten hält die Kirche immer noch an Ihrem Anspruch
eigene Angelegenheit ist alles wonach es uns gelüstet
und ihrer Aussage fest:
'Wie kann man es wagen, die Kirche herauszufordern?': Wir müssen nichts offenlegen; und: Warum sollten wir Ihnen unsere Archive zeigen?
Deshalb ist es nun notwendig (auch im wohl erwogenen Interesse der Kirchen), die "Grenzen des für alle geltenden Gesetzes" durch den Staat deutlich enger zu ziehen und das den Kirchen eingeräumte Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht auf den Kernbereich des kirchlichen Lebens zu beschränken, auf Liturgie und das Sakramentenrecht zum Beispiel.

Donnerstag, 29. Februar 2024

Endspurt - Mitmach-Aktion: Demo und Post teilen

openPetition hat uns eine neue Nachricht zur Petition "Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte" geschickt:


Liebe Unterstützende,

nur noch wenige Tage kann man die Petition unterschreiben und nächste Woche übergibt ver.di die Petition!

Es heißt also Endspurt: Wir von openPetition haben einen Social Media Post gemacht, damit die Petition auf den letzten Metern nochmal an Reichweite gewinnt und das Thema auch wieder mehr in die Öffentlichkeit rückt. Bitte teilen, teilen, teilen:

+++ Instagram: www.instagram.com/p/C35cLPdsab7/

+++ Facebook: www.facebook.com/openPetition/posts/pfbid0nMriY7YcHsNeqHkgGLSrhLGHUQ9j3e166dWnLxxbFoDcZko3WuEcyGF4nrDTTTbjl

+++ X (vormals Twitter): twitter.com/openPetition/status/1762874248186528007

Am 05.03.2024 ab 13 Uhr auf dem Bebelplatz beginnt ein Demozug von ver.di zum Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Dort wird die Petition an die Politik übergeben.
Weitere Infos findet ihr hier: gesundheit-soziales-bildung.verdi.de/mein-arbeitsplatz/kirchliche-betriebe/++co++34504742-95d0-11ee-800a-a55c11d677a4

Kommt zahlreich dazu und zeigt, dass Schluss ist mit Diskriminierung kirchlicher Beschäftigter wegen privater Entscheidungen!

Beste Grüße
das openPetition-Team

openPetition


Alle Informationen und Fortschritte zur Petition gibt’s hier.

Haben Sie eine Frage oder einen Hinweis zur Petition? Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di hat die Petition gestartet. Klicken Sie hier, um Kontakt aufzunehmen.

Herzliche Grüße
Ihr Team von openPetition



Dienstag, 27. Februar 2024

Noch eine Woche - Aufruf | Übergabe der Petition | Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte | 5. März 2024 | Berlin


warum ?
Ganz einfach:
aus dem Versprechen, ein eigenes vorbildliches Mitarbeitervertretungsrecht zu schaffen - ist etwas geworden, das für seine "Pseudo-Mitwirkungsmöglichkeiten" den Neid jedes Firmenpatriarchen erregt - und das in seiner Ausführung "Allgemeine Geschäftsbedingung statt Tarifvertrag" die Konkurrenz der Branchenunternehmen zu Lasten der Beschäftigten und der zu Pflegenden stärkt. Wir brauchen einen Allgemein Verbindlichen Tarifvertrag für die gesamte Branche - Wettbewerb um die Qualität und nicht um die billigste "Versorgung". Das geht nicht über Allgemeine Geschäftsbedingungen und dritte, vierte oder fünfte Wege.

Montag, 26. Februar 2024

§ Schulungsanspruch - Webinar statt Präsenzschulung?

Dem Grunde (nicht der Höhe nach) haben MAVen wie auch Betriebs- und Personalräte (Personalvertretung - PV) einen Anspruch auf für diese Tätigkeit erforderliche Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber zu tragen hat. Das Bundesarbeitsgericht hat nun bestätigt, dass davon auch
Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein (können), wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet.
Die Pressestelle des Bundesarbeitsgerichts schreibt dazu:
Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten zu tragen hat. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.

Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Februar 2024 – 7 ABR 8/23 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24. November 2022 – 8 TaBV 59/21 –
Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 5/24 vom 07.02.2024 - Betriebsverfassungsrechtlicher Schulungsanspruch - Webinar statt Präsenzschulung?

Da der Anspruch auf Schulung auf "die Tätigkeit" abzielt, muss die Entscheidung des BAG auch für MAV-Schulungen durchschlagen. Nun mag man einwenden, der Schulungsanspruch nach MAVO setze eine Anerkennung "als geeignet" voraus, die durch den jeweiligen Ortsordinarius zu erteilen ist. Was ist dann, wenn der entsprechende Präsenzschulungen unter Verweis auf das inhaltsgleiche Webinar nicht "als geeignet" anerkennt?
Gegenfrage: macht die Wahl "Präsenzschulung statt Webinar" eine inhaltsgleiche Schulung ungeeignet? Das zu begründen dürfte schwer fallen, schließlich ist erfahrungsgemäß eine lebhafte Diskussion in Präsenz ergiebiger als jede ermüdende Videokonferenz. Über die Grundlage dieser Erkenntnis - etwa weil die Teamer oder Referenten schon an der Körperhaltung der Teilnehmer bemerken, wann eine Pause nötig wird - brauchen wir uns hier nicht zu unterhalten.
Die reinen Übernachtungs- und Verpflegungskosten ändern also nichts an der inhaltlichen Eignung eines Seminars. Das aber ist das einzige Entscheidungskriterium, das die MAVO zulässt. Es kann bei objektiver Betrachtung weder auf den organisatorischen (z.B. gewerkschaftlichen) Hintergrund des Anbieters noch auf die Kosten des Seminars ankommen.

Zugegeben, der Grundkurs "Stricken und Töpfern für Anfänger" oder >"Wie tanze ich meinen Namen?" hat mit der Tätigkeit eines MAV-Mitgliedes wenig zu tun. Da könnte man an der Eignung für die Tätigkeit in der Personalvertretung zweifeln. Aber solche Kurse sind - jedenfalls nach unserer Kenntnis - bisher von keinem Fortbildungsinstitut angeboten worden. Auch wenn Stricken möglicherweise bei einer dieser elend langen Sitzung konzentrationsfördernd sein kann, und das "Tanzen des eigenen Namens" in einer Mitarbeiterversammlung sicher gut ankommen würde.


Diese Form der "Anerkennung als geeignet" und der im Umfang deutlich geringere Schulungsanspruch nach MAVO gegenüber die Betriebsverfassungsgesetz - auch wenn für die MAV zusätzlich zum "für alle geltenden weltlichen Recht" auch noch die kirchenrechtliche Grundlage benötigt wird, was eigentlich ein "mehr" an Schulung begründen würde - ist ein Beispiel für die Behinderung der MAV-Arbeit und die Schlechterstellung kirchlicher Mitarbeitervertretungen. Auch ein Grund um zu fordern:

Sonntag, 25. Februar 2024

Sonntagsnotizen - das Imperium schlägt zurück:

so erscheint mir jedenfalls diese Antwort auf die Appelle Benedikts zur Entweltlichung:
D/Rom: „Institutionelle Dimension der Kirche in Deutschland ist eine Stärke"
Die frühere Amtsleiterin des Augsburger Bischofs Bertram Meier, Schwester Anna Schenck, hält die institutionelle Dimension der Kirche in Deutschland für eine Stärke. Die Ordensfrau der „Congregatio Jesu“, die in jungen Jahren als Unternehmensberaterin für McKinsey arbeitete, wirkt seit 1. Februar als Generalökonomin ihrer Gemeinschaft in Rom.
...
man kann die Institution Kirche tatsächlich nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten führen. Unbestreitbar wird das auch schon vielfach getan. Dann aber muss dieser Wohlfahrtskonzern (siehe unser Beitrag hier) sich auch vollständig den Regularien des Marktes - wie etwa der Konzernhaftung - unterwerfen und nicht Rosinen picken.

Donnerstag, 22. Februar 2024

Und wieder eine Insolvenz - St. Elisabeth Krankenhaus im rheinland-pfälzischen Lahnstein

Das insolvente St. Elisabeth Krankenhaus in Lahnstein entlässt offenbar kurzfristig mehr als die Hälfte der Beschäftigten. Berichten zufolge soll nur die Psychiatrie erhalten bleiben.
berichtet kma online. Und führt aus:
...
Den Beschäftigten sei in einer Mitarbeiterversammlung am 19. Februar erklärt worden, dass etwa zwei Drittel von ihnen kurzfristig ihre Stellen verlieren werden, sagte Lahnsteins Oberbürgermeister Lennart Siefert im Gespräch mit kma: „Bis auf die Psychiatrie macht alles zu.“ Seine Informationen habe er aus der Mitarbeiter- und Ärzteschaft, so Siefert.

Das bislang zum Elisabeth Vinzenz Verbund (EVV) gehörende Haus hatte im November 2023 ein Schutzschirmverfahren beantragt und arbeitet seitdem an seiner Restrukturierung. Offenbar soll sich das Haus, das bisher 180 Betten und mehr als 300 Beschäftigte hat, künftig nur noch auf die Psychiatrie beschränken. Für alle anderen Bereiche liege kein tragfähiges Konzept vor, ist zu hören. ...
wie war das?
...
Den Beschäftigten sei in einer Mitarbeiterversammlung am 19. Februar erklärt worden, dass etwa zwei Drittel von ihnen kurzfristig ihre Stellen verlieren werden, sagte Lahnsteins Oberbürgermeister Lennart Siefert im Gespräch mit kma: „Bis auf die Psychiatrie macht alles zu.“ Seine Informationen habe er aus der Mitarbeiter- und Ärzteschaft, so Siefert.
Das bislang zum Elisabeth Vinzenz Verbund (EVV) gehörende Haus hatte im November 2023 ein Schutzschirmverfahren beantragt und arbeitet seitdem an seiner Restrukturierung. Offenbar soll sich das Haus, das bisher 180 Betten und mehr als 300 Beschäftigte hat, künftig nur noch auf die Psychiatrie beschränken. Für alle anderen Bereiche liege kein tragfähiges Konzept vor, ist zu hören. ...
Die karitativen Organisationen der Kirche stellen dagegen ihr opus proprium dar, eine ihr ureigenste Aufgabe, in der sie nicht mitwirkend zur Seite steht, sondern als unmittelbar verantwortliches Subjekt selbst handelt und das tut, was ihrem Wesen entspricht. Von der Übung der Liebestätigkeit als gemeinschaftlich geordneter Aktivität der Gläubigen kann die Kirche nie dispensiert werden ....
(Quelle mit Erläuterungen)

Die Caritas und ihre Träger arbeiten nicht selbstlos sondern nach rein betriebswirtschaftlichen Grundsätzen und dispensieren sich selbst von ihrem "kirchlichen Auftrag", wenn die Wirtschaftssituation schwieriger wird. Sie wollen aber den Schutz der Mitarbeitenden, der damit erforderlich und nötig ist, weiterhin verweigern. Ist das den Mitarbeitenden gegenüber fair und gerecht?