Freitag, 15. November 2013

Katakombenpakt - Kirche für die Armen und "Entweltlichung"

Am 16. November 1965 – drei Wochen vor dem Abschluss des II. Vatikanischen Konzils – trafen sich in den Domitilla-Katakomben außerhalb Roms 40 Bischöfe der ganzen Welt. Sie griffen ein Leitwort auf, das Johannes XXIII. einige Jahre vorher ausgegeben hatte.

Johannes hatte das Leitwort von einer “Kirche der Armen” in seiner Rundfunkansprache vier Wochen vor der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils am 11. Sept. 1962 ausgegeben. Er meinte damit keine Sonderkirche, die im Gegensatz zu einer anderen Kirche oder zu einer anderen Gruppierung in der Kirche steht – etwa die Armen gegen die Reichen oder die Laien gegen die Priester. Sondern er wollte darauf aufmerksam machen, dass die Armen die Kirche überhaupt repräsentierten. Sie sind die Mehrheit des Volkes Gottes in der heutigen Welt. Mehrfach hat er auch Kardinal Lercaro aufgefordert, zu diesem Thema im Konzil zu sprechen. ...
Quelle *klick*

Papst Franziskus scheint diesen Ansatz zu verfolgen. Bei seiner ersten Pressekonferenz am 16. März 2013 sagte er:
„Ich möchte eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen.“
Auch die Wahl seines Papstnamens steht für das Programm einer Kirche, die auf Reichtum und Privilegien verzichtet, um für die Armen da sein zu können.

Was aber ist eine Kirche für die Armen?



Der Versuch einer Antwort findet sich in dem Buch „Benedikts Vermächtnis und Franziskus’ Auftrag: Entweltlichung“ von Kardinal Josef Cordes und Manfred Lütz. Beide kritisieren den „mächtigen Deutschen Caritasverband“ und den „deutschen Institutionenkatholizismus". Die Autoren schlagen unter Bezug auf die Freiburger "Konzerthausrede" von Papst Benedikt XI. vor, die Kirche möge auf „Arbeitgeber-Macht“ verzichten und sich aus all den Bereichen zurückziehen, für die sie nicht mehr ausreichend „katholische“ Mitarbeiter(innen) finden könne.

Die erste Folgerung scheint wohl richtig zu sein. Die zweite wäre wohl in Frage zu stellen. Anlässlich seiner Ansprache zu engagierten Katholiken aus Kirche und Gesellschaft führte der Papst nämlich aus:
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In der geschichtlichen Ausformung der Kirche zeigt sich jedoch auch eine gegenläufige Tendenz, daß die Kirche zufrieden wird mit sich selbst, sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam ist und sich den Maßstäben der Welt angleicht. Sie gibt nicht selten Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zu der Offenheit auf Gott hin, zur Öffnung der Welt auf den Anderen hin. Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muß die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von dieser ihrer Verweltlichung zu lösen und wieder offen auf Gott hin zu werden. Sie folgt damit den Worten Jesu: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin“ (Joh 17,16), und gerade so gibt er sich der Welt. Die Geschichte kommt der Kirche in gewisser Weise durch die verschiedenen Epochen der Säkularisierung zur Hilfe, die zu ihrer Läuterung und inneren Reform wesentlich beigetragen haben.

Die Säkularisierungen – sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder ähnliches – bedeuteten nämlich jedesmal eine tiefgreifende Entweltlichung der Kirche, die sich dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößt und wieder ganz ihre weltliche Armut annimmt. Damit teilt sie das Schicksal des Stammes Levi, der nach dem Bericht des Alten Testamentes als einziger Stamm in Israel kein eigenes Erbland besaß, sondern allein Gott selbst, sein Wort und seine Zeichen als seinen Losanteil gezogen hatte. Mit ihm teilte sie in jenen geschichtlichen Momenten den Anspruch einer Armut, die sich zur Welt geöffnet hat, um sich von ihren materiellen Bindungen zu lösen, und so wurde auch ihr missionarisches Handeln wieder glaubhaft. Die geschichtlichen Beispiele zeigen: Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage. Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben.
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Sagen wir es noch einmal anders: Der christliche Glaube ist für den Menschen allezeit – und nicht erst in der unsrigen – ein Skandal.
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Dieser Skandal, der unaufhebbar ist, wenn man nicht das Christentum selbst aufheben will, ist leider gerade in jüngster Zeit überdeckt worden von den anderen schmerzlichen Skandalen der Verkünder des Glaubens. Gefährlich wird es, wenn diese Skandale an die Stelle des primären skandalon des Kreuzes treten und ihn dadurch unzugänglich machen, also den eigentlichen christlichen Anspruch hinter der Unbotmäßigkeit seiner Boten verdecken.
Um so mehr ist es wieder an der Zeit, die wahre Entweltlichung zu finden, die Weltlichkeit der Kirche beherzt abzulegen. Das heißt natürlich nicht, sich aus der Welt zurückzuziehen, sondern das Gegenteil. Eine vom Weltlichen entlastete Kirche vermag gerade auch im sozial-karitativen Bereich den Menschen, den Leidenden wie ihren Helfern, die besondere Lebenskraft des christlichen Glaubens zu vermitteln. "Der Liebesdienst ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern er gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst" (Enzyklika Deus caritas est, 25). Allerdings haben sich auch die karitativen Werke der Kirche immer neu dem Anspruch einer angemessenen Entweltlichung zu stellen, sollen ihr nicht angesichts der zunehmenden Entkirchlichung ihre Wurzeln vertrocknen. Nur die tiefe Beziehung zu Gott ermöglicht eine vollwertige Zuwendung zum Mitmenschen, so wie ohne Zuwendung zum Nächsten die Beziehung zu Gott verkümmert.
(Quelle: klick)

Benedikt wollte also nicht, dass sich die Kirche aus der Welt zurück zieht, er wollte keine Strategie der „elitären Minorisierung“ - im Gegenteil: die Kirche sollte sich gerade auf ihre Tätigkeit in der Welt konzentrieren.

Der Verweis auf die Enzyklika "Deus Caritas est" zeigt, um was es Benedikt ging. Wir zitieren:
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26 ... Richtig ist, daß das Grundprinzip des Staates die Verfolgung der Gerechtigkeit sein muß und daß es das Ziel einer gerechten Gesellschaftsordnung bildet, unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips jedem seinen Anteil an den Gütern der Gemeinschaft zu gewährleisten. Das ist auch von der christlichen Staats- und Soziallehre immer betont worden. Die Frage der gerechten Ordnung des Gemeinwesens ist — historisch betrachtet — mit der Ausbildung der Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert in eine neue Situation eingetreten. Das Entstehen der modernen Industrie hat die alten Gesellschaftsstrukturen aufgelöst und mit der Masse der lohnabhängigen Arbeiter eine radikale Veränderung im Aufbau der Gesellschaft bewirkt, in der das Verhältnis von Kapital und Arbeit zur bestimmenden Frage wurde, die es in dieser Form bisher nicht gegeben hatte. Die Produktionsstrukturen und das Kapital waren nun die neue Macht, die, in die Hände weniger gelegt, zu einer Rechtlosigkeit der arbeitenden Massen führte, gegen die aufzustehen war.

27. Man muß zugeben, daß die Vertreter der Kirche erst allmählich wahrgenommen haben, daß sich die Frage nach der gerechten Struktur der Gesellschaft in neuer Weise stellte. Es gab Wegbereiter; einer von ihnen war zum Beispiel Bischof Ketteler von Mainz († 1877). Als Antwort auf die konkreten Nöte entstanden Zirkel, Vereinigungen, Verbände, Föderationen und vor allem neue Ordensgemeinschaften, die im 19. Jahrhundert den Kampf gegen Armut, Krankheit und Bildungsnotstand aufnahmen. Das päpstliche Lehramt trat im Jahr 1891 mit der von Leo XIII. veröffentlichen Enzyklika Rerum novarum auf den Plan. Ihr folgte 1931 die von Pius XI. vorgelegte Enzyklika Quadragesimo anno. Der selige Papst Johannes XXIII. veröffentlichte 1961 seine Enzyklika Mater et Magistra, während Paul VI. in der Enzyklika Populorum progressio (1967) und in dem Apostolischen Schreiben Octogesima adveniens (1971) nachdrücklich auf die soziale Problematik einging, wie sie sich nun besonders in Lateinamerika verschärft hatte. Mein großer Vorgänger Johannes Paul II. hat uns eine Trilogie von Sozial-Enzykliken hinterlassen: Laborem exercens (1981), Sollicitudo rei socialis (1987) sowie schließlich Centesimus annus (1991). So ist stetig in der Auseinandersetzung mit den je neuen Situationen und Problemen eine Katholische Soziallehre gewachsen, die in dem vom "Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden" 2004 vorgelegten Kompendium der Soziallehre der Kirche zusammenhängend dargestellt ist.
...
In diesen vielen, von Papst Benedikt zitierten Enzykliken ist nirgends vom "Dritten Weg" oder der "Dienstgemeinschaft" die Rede - sehr oft aber vom Gewerkschaftsprinzip und auch vom Tarifvertrag. Eine von den weltlichen Tarifverhandlungen entlastete Kirche kann sich um ihren eigentlichen Auftrag besser kümmern.
Die Lösung de Frage, auf welchem Wege und wie hoch die Kirche mit ihren Wohlfahrtsverbänden die eigenen MitarbeiterInnen entlohnt, ist keine originäre spezifisch caritative oder kirchliche Aufgabe. Sonst wäre der ständige Verweis auf das Gewerkschaftsprinzip in den wichtigen Sozialenzykliken der Päpste "unkatholisch". Und sonst wäre die "Vergütungsautomatik" in der verfassten Kirche "unchristlich", "unkirchlich" und nicht möglich.
Warum also nicht diese einseitige Ankoppelung in einen beidseitigen Anwendungstarifvertrag wandeln - und auch die Caritas in den Geltungsbereich dieses Anwendungstarifvertrages einbeziehen?

Die Überlegungen drängen sich auf - findet doch zeitgleich mit dem Jahrestag des "Katakombenpakts" die Tagung des UNI-Weltvorstands in Dublin statt. Gewerkschaftsführer/innen aus der ganzen Welt treffen sich ein Jahr vor dem Weltkongress in Kapstadt zur Tagung des Weltvorstands der UNI Global Union. Diese ist das Sprachrohr von 20 Millionen Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Über ihre 900 Mitgliedsorganisationen vertritt UNI Erwerbstätige in 150 Ländern und in allen Regionen der Welt. Die irischen Gewerkschaften wurden um die Ausrichtung gebeten, um dem hundertsten Jahrestag der Aussperrung von Arbeitnehmern in Dublin, dem Dublin Lockout, einem der wichtigsten Arbeitskämpfe, der das Land im Jahr 1913 erschütterte, zu gedenken.

Eine wichtige Person unter den Initiatoren des Katakombenpakts war Dom Helder Camara, damals gerade Erzbischof von Recife/Brasilien geworden. Lassen Sie uns zum Abschluss dieses Beitrags Dom Helder Camara zitieren:
"Die Privilegierten werden gereizt, fühlen sich falsch beurteilt, entdecken Umsturz und Kommunismus."

2 Kommentare:

  1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  2. Hallo Herr Wehmeier,
    ich habe Ihren Kommentar entfernt. Wir diskutieren hier nicht über "die Heiligen Schriften von Nag Hammadi", die "Religion (Rückbindung auf den künstlichen Archetyp Jahwe), die Unterscheidungsfähigkeit zwischen Marktwirtschaft und Privatkapitalismus (Erbsünde)" oder die Frage, ob es eine "Natürliche Wirtschaftsordnung (freie Marktwirtschaft ohne Kapitalismus)" gibt. Ein Volkswirtschaftler (da habe ich einige Vorlesungen gehört) würde wohl sagen, dass die freie Marktwirtschaft zwangsläufig zur Kapitalanhäufung bei einzelnen und damit zum Kapitalismus führt. Ein Sozialethiker würde freie Marktwirtschaft ohne Sozialbildung des Eigentums ablehnen. Aber das ist eine Diskussion, die nicht hier im Blog sondern möglicherweise auf Ihrer eigenen Internet-Seite besser angesiedelt ist.

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